Prophetische Schriften und der unbekehrte Jude | thebereancall.org

Ryle, J.C.

Prophetische Schriften und der unbekehrte Jude

Ryle, J.C.

Ich weiß nicht, wie Du über die Erfüllung der prophetischen Teile der Schrift denkst…. Aber ich bitte Dich inständig, Deine Ansicht über Prophetie zu untersuchen. Ich bitte Dich ruhig zu überlegen, ob Deine Ansichten über Christi zweites Kommen und das Reich solide und schriftgemäß sind wie jene Seiner ersten Jünger…. Ich ersuche Dich, das Thema, das ich Dir aufnötige, nicht als neugierige Spekulation ohne praktische Bedeutung aufzugeben. Glaube mir, es betrifft die ganze Frage zwischen Dir und dem unbekehrten Juden. Ich warne Dich, solltest Du den prophetischen Teil des Alten Testamentes nicht in schlichter wörtlicher Wortbedeutung interpretieren, wird es Dir schwerfallen, Deine Ansicht bei einem unbekehrten Juden durchzusetzen. 

Wahrscheinlich würdest Du dem Juden sagen, Jesus von Nazareth war der in den alttestamentlichen Schriften verheißene Messias. Auf jene Schriften als Beweis für Ihn würdest Du verweisen…. Du würdest ihm sagen, in Jesus von Nazareth seien diese Schriften buchstäblich erfüllt… Aber angenommen der Jude fragt dich, ob du alle Prophetien im Alten Testament in ihrer einfachen, wörtlichen Bedeutung nimmst. Angenommen er fragt dich, ob du an ein persönliches Erscheinen des Messias glaubst, um über die Erde in Herrlichkeit zu regieren – eine buchstäblich Wiederherstellung Judas und Israels in Palästina – buchstäblichen Wiederaufbau und -herstellung Zions und Jerusalems. Angenommen der unbekehrte Jude stellt Dir diese Fragen, was kannst Du ihm antworten?

Wirst Du ihm sagen, alttestamentliche Prophezeiungen dieser Art dürfen nicht voll wörtlich genommen werden? Die Worte Zion, Jerusalem, Jakob, Juda, Ephraim, Israel bedeuteten nicht, was sie andeuten, sondern bedeuten die Gemeinde Christi? Wirst Du ihm sagen, das herrliche Reich und der künftige Segen Zions, die so oft ausführlich in der Prophetie behandelt werden, bedeuten nicht mehr als die allmähliche Christianisierung der Wellt durch Missionare und Verkündigung des Evangeliums? Wirst Du ihm sagen, es sei „fleischlich“ [zeitlich] solche Stellen wörtlich zu nehmen – „fleischlich“, einen buchstäblichen Wiederaufbau Jerusalems – ein wörtliches Kommen des Messias zur Herrschaft zu erwarten – „fleischlich“, die buchstäbliche Sammlung und Wiederherstellung Israels zu erwarten? O Leser, wenn Du diesen Sinn hast, pass auf, was Du tust! Ich sage nochmal, pass auf.

Siehst Du nicht, dass du dem unbekehrten Juden eine Waffe in die Hand gibst, die er wahrscheinlich mit unwiderstehlicher Kraft anwenden wird? – Siehst Du nicht, dass Du Dir den Boden unter den Füßen wegziehst und dem Juden ein starkes Argument lieferst, deiner Schriftinterpretation nicht zu glauben? Siehst Du nicht, dass der Jude antworten wird, es sei „fleischlich“, ihm zu sagen, der Messias sei buchstäblich gekommen zu leiden, wenn Du ihm sagst, es sei „fleischlich“ eine buchstäbliche Herrschaft des Messias zu erwarten? Siehst Du nicht, dass der Jude Dir sagen wird, es sei viel „fleischlicher“, wenn Du glaubst, der Messias könne als verachteter, gekreuzigter Mensch der Sorgen in die Welt kommen, als wenn er glaubt, Er werde als siegreicher König in die Welt kommen? Zweifellos wird er das und du hast dann keine Antwort.

Leser, nimm diese Dinge ernst. Ich flehe Dich an, jedes Vorurteil abzutun und mein Thema ruhig und objektiv zu überdenken. Ich flehe Dich an, neu die prophetischen Schriften aufzunehmen und zu beten, ihre Bedeutung nicht irrig zu interpretieren. Lies sie im Lichte der beiden großen Polarsterne, dem ersten und zweiten Kommen Jesu Christi. Verbinde mit dem ersten Kommen die Ablehnung durch die Juden, die Berufung der Heiden, das Predigen des Evangeliums als Zeugnis für die Welt… Verbinde mit dem zweiten Kommen die Wiederherstellung der Juden… und die Errichtung des Reiches Christi auf Erden. Mach das und du wirst einen Sinn und Fülle in der Prophetie sehen, die du vielleicht noch nie entdeckt hast.

J. C. Ryle, Coming Events and Present Duties (London: William Hunt & Co., 1881), pp. x-xi, pp. 46-48.

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John Charles Ryle (1816-1900) wurde in Macclesfield geboren und in Eton und der Christ Church, Oxford geschult. Als Sohn eines wohlhabenden Bankiers war ihm eine Karriere in der Politik zugedacht, bevor er sich für den ordinierten Dienst berufen fühlte. 

1880 wurde er im Alter von 64 Jahren auf Empfehlung des Premierministers Benjamin Disraeli erster Bischof von Liverpool. Er schied 1900 im Alter von 83 Jahren aus und starb später im selben Jahr. 

Ryle unterstützte vehement die evangelikale Richtung und kritisierte den Ritualismus. Unter seinen längeren Werken sind Christenführer des Achtzehnten Jahrhunderts (1869), Erklärende Gedanken zu den Evangelien (7 Bände, 1856-69), und Richtlinien für Kirchenmänner (1884).